Competing Values Framework macht Firmenkultur greifbar

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Andreas Lohr
Meine Helden leben in Michigan (I)

Muss es eigentlich immer Harvard sein? Können Sie sich vorstellen, dass auch an der University of Michigan großartige Forschung zu Leadership und Unternehmenskultur geleistet wird? Ich möchte mit diesem Beitrag in zwei Teilen eine Einführung geben in die Arbeit Kim Cameron und Robert Quinn über Organisationen, die Außerordentliches leisten. Ihre Forschung und ihre Bücher machen Cameron und Quinn für mich zu zwei meiner großen Helden. Ihnen ist das Kunststück gelungen, das Phänomen „Kultur“ auf die vier Grundaspekte zu reduzieren, die für den Business-Alltag relevant und ausreichend sind. Sie kann diese Arbeit daher enorm unterstützen auf Ihrem Weg in eine erfolgreiche Zukunft, ob als Führungskraft oder als Organisation.

Die Kunst der Einfachheit

Komplexe Sachverhalte auf einfache Grundprinzipien zu reduzieren, ist eine große Kunst. Mein Doktorvater hat immer gesagt: „Physik ist die Kunst des richtigen Schlampens.“ Betrachten wir als Beispiel die Quantenmechanik: Alle ihre Phänomene werden durch eine einzige Gleichung beschrieben, die „Schrödingergleichung“. Möchte ich das Verhalten eines Systems verstehen, muss ich also „nur“ diese Gleichung dafür lösen. Nur: Genau das ist in der Regel nicht so einfach. Die Schrödingergleichung enthält alle Aspekte des Systems. Und das kann die Sache ganz schön kompliziert machen. Aber für das Verhalten eines Systems in einer ganz bestimmten Situation sind meist gar nicht alle Aspekte entscheidend. Die Frage lautet daher: Welche Aspekte muss ich berücksichtigen und welche kann ich vernachlässigen, sprich „verschlampen“, um die Lösung der Gleichung a) deutlich einfacher zu machen und b) das System trotzdem korrekt in dieser bestimmten Situation zu beschreiben?

Gelingt es Forschenden die entscheidenden Aspekte eines Systems in einer bestimmten Situation zu erkennen, ist das für sie meist ein Moment von großer Freude. Es ist eine Entdeckung, die unser Verständnis der Welt vertieft. Kim Cameron und Robert Quinn ist ein solches Kunststück gelungen. Allerdings haben sie sich nicht mit der Quantenphysik beschäftigt, sondern mit etwas, das ebenso komplex ist: Mit der Kultur von Organisationen. Sie haben dieses riesige und irgendwie diffuse Gebiet auf nur vier Dimensionen oder auch „Archetypen“ reduziert. Die bestimmte Situation, in der diese Beschreibung einer Organisation korrekt und völlig ausreichend ist, ist der Business-Alltag.

Kultur verstehen mit dem Competing Values Framework

„Kultur ist nicht ein Aspekt des Spiels – es ist das Spiel“, hat Lou Gerstner einmal als CEO von IBM gesagt, und: „Nichts im Business ist wertvoller als eine starke Kultur. Ich habe bis zum Alter von 55 Jahren gebraucht, das zu erkennen. Aber was ich bei IBM gelernt habe, ist, dass Kultur alles ist.“

Der Ökonom Peter Drucker hat es so ausgedrückt: „Kultur isst Strategie zum Frühstück“. Als Führungskraft könnten Ihnen jetzt Gedanken kommen wie: „Oh Gott, wie soll ich damit umgehen?“ Oder: „Mit Strategien kenne ich mich aus, aber was ist bitteschön mit Kultur genau gemeint? Das ist doch Wischi-waschi!“ Dieser Artikel möchte Sie beruhigen und begeistern: Es gibt eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Strategie, Kultur zu verstehen, zu analysieren und sie, falls nötig, auch zu ändern.

Hinter dieser Strategie stecken inzwischen vier Jahrzehnte Forschung, Entwicklung und Praxis. Die Grundlage ist das Competing Values Framework (CVF) von Kim Cameron und Robert Quinn. Das CVF wurde 2003 zu den 40 wichtigsten Systemen in der Geschichte des Business gezählt (ten Have et al., 2003). Es zählt heute zu den weltweit am häufigsten genutzten und zitierten Modellen zum Verständnis und zur Bewertung von Organisationskultur. Und der Clou daran ist: Es ist einfach, effizient und auch im Business-Alltag gut zu handhaben.

Was ist überhaupt Kultur?

Kultur ist das, was entsteht, wenn Menschen zusammen kommen. Kultur beinhaltet die Werte, Überzeugungen, Sichtweisen, Verhaltensnormen, Regeln, Annahmen, Erwartungen und auch die Erinnerungen der Menschen in einer Organisation. Kultur bestimmt daher, was die Menschen sehen und wie sie denken, fühlen und entscheiden. Kultur bestimmt, „wie die Dinge hier bei uns laufen“.

Menschen sind sich dessen aber meist nicht bewusst. Sie kopieren einfach andere, um rein zu passen und akzeptiert zu sein. Kultur wird daher noch viel zu oft unterschätzt, denn sie ist leicht zu übersehen oder wird als „soft“ und und damit irrelevant abgestempelt, doch: Kultur hat einen entscheidenden Einfluss auf harte Resultate, wie Performance, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, Mitarbeiterbindung, Agilität, Profit, Erfolg und Überleben eines Unternehmens. Kultur ist sogar ein entscheidender Faktor dafür, ob Change-Prozesse gelingen oder nicht. Eine Auswahl an Studien über die Bedeutung der Kultur für Unternehmen finden Sie in einem Info-Kasten in Teil (II) über meine Helden aus Michigan „Wie Change-Prozesse gelingen können„.

Camron und Quinn weisen darauf hin, dass Menschen sich ihrer Kultur solange nicht bewusst sind, bis sie herausgefordert wird. Als Beispiel dafür geben sie folgendes Bild: Die meisten Menschen haben sich heute morgen beim Aufstehen nicht überlegt, welche Sprache sie sprechen wollen. Erst wenn wir mit einer anderen Sprache konfrontiert werden, werden wir uns der Sprache überhaupt bewusst (Cameron, Quinn 2011).

Zur Kultur gehört aber weit mehr, etwa: Kompetenzen, Ressourcen und Skills, oder offensichtliche Dinge wie die Einrichtung der Gebäude, das Logo oder der Dresscode. Wobei der größte Teil der Kultur ebenso wie bei einem Eisberg nicht sichtbar und daher meist unbewusst ist. Genau hier liegt ein enormes Potenzial. Fangen Sie an, damit zu arbeiten! Damit können Sie enorme Kräfte frei setzen und sich einen echten Wettbewerbsvorteil verschaffen gegenüber jenen, die beim Thema Kultur immer noch schlafen. Oder gegenüber jenen, die schlicht nicht wissen, wie sie dieses Thema managen sollen – dieses wichtige Thema, das entscheidenden Einfluss auf die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen hat.

Das Competing Values Framework (CVF)

Schön und gut, Kultur ist also wichtig. Doch wie kann man als Führungskraft damit umgehen? Wie bekommt man dieses Ding gemanaged? Kultur ist, wie wir oben gesehen haben, umfassend und baut sich aus einer Fülle an komplexen Faktoren auf, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Es gibt viele verschiedene Ansätze, Kultur zu analysieren. Keiner davon kann Kultur in allen Facetten erfassen. Das Competing Values Framework (CVF) von Kim Cameron und Robert Quinn hat die Komplexität auf die vier fundamentale Kulturtypen reduziert, die für den Business-Alltag entscheidend sind. Diese sind: Clan, Adhocracy, Hierarchy und Market. Da die Bücher von Kim Cameron und Robert Quinn leider noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, verwenden wir hier die englischen Begriffe.

In der Kommunikation mit Führungskräften und Managern hat es sich als praktisch erweisen, diese Kulturtypen mit aktiven Verben zu labeln, nämlich: Collaborate (Clan), Create (Adhocracy), Control (Hierarchy) und Compete (Market).

Das bedeutet zum Beispiel:

Clan-Culture

Hier geht es um Zusammenarbeit (Collaborate). Diese Kultur ist am Menschen orientiert und freundlich. Ihr geht es um Beziehungen, Teamwork, Entwicklung von Menschen, Engagement und Empowerment.

Hierarchy-Culture

Hier geht es um Kontrolle (Control). Diese Kultur achtet darauf, dass Dinge korrekt gemacht und Fehler eliminiert werden. Sie legt Wert auf Struktur, Prozesse, Effizienz, Zuverlässigkeit, Analyse, Details, Routinen oder Vorsichtsmaßnahmen.

Adhocracy-Culture

Hier geht es darum, neue Dinge zu machen, zu kreieren (Create): Diese Kultur liebt Veränderung, Change, Innovation, Experimentieren, Lernen, Visionen, Freiheit und Unternehmertum.

Market-Culture

Hier geht es um Wettbewerb (Compete) und darum, Dinge schnell zu machen. Diese Kultur legt Wert auf harte Arbeit, Zielerreichung, schnelle Entscheidungen, Resultate, Problemlösung oder Kundenzufriedenheit.

Welcher Kultuttyp ist in Ihrer Organisation vorherrschend? Was denken Sie?
Organisationen haben meist eine dominante Kultur, dennoch brauchen sie Aspekte aller vier Quadranten, um auf lange Sicht erfolgreich zu sein. Dabei ist es entscheidend, die richtige Balance zu finden. So kann Effizienz (Control) Ihren Gewinn steigern, aber auch die Innovation (Create) hemmen, wenn sie übertrieben wird.

Mit dem CVF können Sie die Struktur verstehen, die hinter allen Aktivitäten Ihrer Organisation steht. Es ist daher auch eine große Hilfe, wenn Sie neue und effektivere Muster in der Organisation entwickeln möchten. Wie Sie das Competing Values Framework einsetzen können, um die Kultur Ihrer Organisation zu analysieren und auch, falls nötig, zu verändern erfahren Sie im nächsten Beitrag mit dem Titel: „Wie Change-Prozesse gelingen können“.

Vorteile des Competing Values Framework

  • Nützlich: Das CVF erfasst diejenigen Dimensionen von Kultur, die der Schlüssel zum Erfolg von Organisationen sind.
  • Effizient: Mit dem CVF können die Diagnose der Kultur und die Strategie zu ihrer Veränderung in einem vernünftigen Zeitaufwand bewältigt werden.
  • Involvierend: Die Schritte im Prozess zu einer neuen Kultur können alle Personen der Organisation mit einbeziehen.
  • Quantitativ und Qualitativ: Der Prozess basiert auf quantitativen Messungen der Schlüsseldimensionen Ihrer Kultur. Er bindet aber auch qualitative Elemente mit ein, wie Geschichten, Ereignisse oder Symbole.
  • Handlich: Die Prozesse von Diagnose und Change sind so gut strukturiert, dass Sie auch von Teams innerhalb der Organisation durchgeführt werden können. Der Bedarf an externer Beratung hält sich in Grenzen. Je nach den Kompetenzen Ihrer Mitarbeitenden, können Sie diese Prozesse auch komplett Inhouse halten.
  • Valide: Das CVF macht nicht nur unmittelbar Sinn für jede(n), der oder die sich damit

Die fundamentale Natur des Competing Values Framework

Die fundamentale Natur des Competing Values Framework (CVF) wird deutlich, wenn wir ihre Elemente mit den vier biologischen Triebkräfte vergleichen, die die Harvard- Forscher Paul Lawrence und Nitin Nohria in ihrer „Four-Drive-Theory“ (Lawrence und Nitin 2002) beschreiben. Sie haben vier Triebkräfte identifiziert, die das menschliche Verhalten und Zusammenleben seit der Eiszeit bestimmen. Diese vier Triebkräfte lassen sich exakt das CVF abbilden:

  • Acquire: Der Erwerbstrieb lässt uns Gegenstände und Erfahrungen sammeln, die unseren Status im Verhältnis zu anderen verbessern. Er entspricht im CVF der Compete Culture.
  • Bond: Der Bindungstrieb bringt uns dazu, langfristige Beziehungen anzuknüpfen, die sich durch gegenseitiges Interesse und Engagement auszeichnen. Er entspricht der Collaborate Culture.
  • Learn: Durch den Lerntrieb spüren wir den Drang, die Welt und uns selbst zu erforschen und zu verstehen. Er entspricht der Create Culture.
  • Defend: Die vierte Antriebskraft ist der Wunsch, uns selbst, unsere Liebsten, unsere Überzeugungen und unsere Ressourcen vor Schaden zu bewahren. Das entspricht der Control Culture.

Cameron und Quinn weisen darauf hin, dass es im Competing Values Framework (CVF) nicht wie bei Lawrence und Nitin um eine universelle Theorie für alles geht, sondern um ein effektives Tool für Führungskräfte im Business-Alltag.

Quellennachweise

Bremer Marcella (2020), Developing a Positive Culture where People and Performace Thrive, Zwolle: Kikker Groep.

Cameron Kim and Quinn Robert (2011), Diagnosing and Changing Organizational Culture, San Francisco: Jossey-Bass.

Cameron Kim (2012), Positive Leadership: Strategies for Extraordinary Performance, Oakland: Berrett-Koehler.

Cameron Kim (2013), Practicing Positive Leadership. Oakland: Berrett-Koehler.

Cameron Kim (2021), Positively Energizing Leadership: Virtuous Actions and Relationships That Create High Performance, Oakland: Berrett-Koehler.

Cameron Kim, Quinn Robert, DeGraff, Jeff, Thakor, Anjan (2022), Competing Values Leadership, Massachusetts: Edward Elgar.

Lawrence Paul und Nohria Nitin (2002), Driven: Was Menschen und Organisationen antreibt, San Franzisco: Jossey Bass/Wiley.

Quinn Robert (2015), The Positive Organisation: Breaking Free from Conventional Cultures, Constraints, and Beliefs, Oakland: Berrett-Koehler.

ten Have, S., W. ten Have, A. F. Stevens, M. Vander Elst and F. Pol-Coyne (2003), Key Management Models: The Management Tools and Practices that will Improve Your Business, London: Pentice Hall.

Veröffentlicht von
Andreas Lohr
Geschäftsführender Gesellschafter

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