Wie Change-Prozesse gelingen können

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Andreas Lohr

Meine Helden leben in Michigan (II)

Kim Cameron und Robert Quinn haben mit dem Competing Values Framework (CVF) ein Tool entwickelt, das die Kultur einer Organisation sichtbar und verständlich macht. Dabei ist ihnen das Kunststück gelungen, dieses komplexe Phänomen auf nur vier Archetypen zu reduzieren. Das CVF versteht sich zwar nicht als die Weltformel für Kultur. Doch es erfasst diejenigen Dimensionen, die der Schlüssel zum Erfolg von Organisationen sind. Basierend auf dem CVF haben die beiden Forscher aus Michigan mit dem OCAI ein Analysetool entwickelt, mit dem Sie nur sechs Aspekte beleuchten müssen, um die Kultur Ihrer Organisation zu verstehen und zu verändern. Daraus ergeben sich neun Schritte für den Wandel, die jeden Change-Prozess begleiten sollten.

Sowohl-als-auch Denken

Die meisten von uns bevorzugen eine bestimmte Kultur. Wenn Sie noch einmal das Competing Values Framework betrachten (eine Beschreibung finden Sie in „Competing Values Framework macht Firmenkultur greifbar„): Welchen Typ bevorzugen Sie? Das CVF kann uns helfen, ein Sowohl-als-auch-Denken zu entwickeln, das verschiedene Vorlieben, Werte und Perspektiven anerkennt. Der vielleicht wichtigste Nutzen des CVF ist aus meiner Sicht: Es macht Dinge sichtbar und bewusst, über die in dieser Tiefe üblicherweise nicht reflektiert wird. So können wir Verständnis entwickeln und Brücken bauen, denn eines ist klar: DIE eine richtige Kultur gibt es nicht!

Allerdings gibt es die beste Mischung aus den vier Quadranten für die aktuelle Situation Ihres Unternehmens. So verändert sich die Kultur automatisch alleine schon im Laufe der Lebenszeit einer Organisation. In Start-ups dominiert meist die Create Culture. Sie wird schon bald begleitet von einem starken Touch an Clan Culture. Man ist dynamisch und innovativ und pflegt noch einen familiären Umgang. Man kennt sich persönlich, unterstützt sich, hält zusammen und arbeitet auf ein gemeinsames Ziel hin. Später wächst das Unternehmen und damit der Bedarf an Struktur, Prozessen und Effizienz (Control). Der Fokus rückt dann mehr auf innere Abläufe. Darauf darf man sich aber nicht zu sehr fixieren. Mit der Zeit muss der Blick wieder mehr nach außen gehen, auf den Markt und die Wettbewerber, aber auch auf die eigene Geschwindigkeit (Compete). Doch auch an diesem Punkt kann das System an seine Grenze kommen, wenn es vergisst, neue Dinge, echte Innovationen zu entwickeln. Die Organisation muss dann wieder ihre Create Culture beleben.

Organisationen werden erfolgreicher, wenn sie ihr Repertoire erweitern. Das Competing Values Framework gibt dafür Orientierung. Es ermöglicht herausragende Performance, indem es konkurrierende Werte auf eine Art integriert, die das Beste aus Ihrer Organisation hervorbringt. Und indem es Sie darin unterstützt, den Fokus zu verändern, sobald das nötig wird. Je nach Branche und Umfeld können es ganz verschiedene Elemente sein, die es zu pflegen oder zu betonen gilt.

OCAI: Kultur in Worte fassen

Wenn es beim Thema Kultur darum geht, das Komplexe korrekt auf etwas möglichst Einfaches und Praxistaugliches zu reduzieren, dann haben Cameron und Quinn neben dem CVF noch einen zweiten Geniestreich gelandet: Mit dem Organizational Culture Assessment Instrument (OCAI) haben sie ein Werkzeug erschaffen, bei dem Sie nur sechs Aspekte beleuchten müssen, um die Kultur Ihres Teams oder Ihrer Organisation zu erkennen.

Wie? Es braucht nur sechs Aspekte, um Kultur verstehen zu können? Ja, genau! Das OCAI wurde an tausenden Organisationen getestet in verschiedensten Industrien, aber auch bei ethnischen Stämmen, militärischen und öffentlichen Einrichtungen sowie mit Teams im Sport. Und natürlich haben Cameron und Quinn auch Studien mit ausführlicheren Versionen des OCAI gemacht, bis hin zu einer Version, die 24 Aspekte untersucht. Doch es hat sich gezeigt: Das OCAI liefert mit nur sechs Aspekten schon eine für den Business-Alltag ausreichende Beschreibung der Kultur.

Diese sechs Dimensionen sind:

  • Der dominante Charakter Ihrer Kultur
  • Der Führungsstil
  • Der Managementstil
  • Was die Mitglieder der Organisation verbindet und zusammenhält
  • Der strategische Schwerpunkt der Organisation
  • Die Kriterien für Erfolg

Für Sie hat das zur Folge, dass Sie in nur etwa 20 Minuten ein Bild von Ihrer aktuellen, aber auch Ihrer gewünschten künftigen Kultur bekommen können. Ich möchte den Kreis meiner Held*innen an dieser Stelle um eine Person erweitern: Es ist Marcella Bremer. Sie lebt in Holland und hat das „OCAI online“ mitbegründet. Für unsere Arbeit als Unternehmensberatung ist das OCAI eines der wichtigsten Tools, um Kultur verstehen und verändern zu können. OCAI online stellt es in 19 Sprachen zur Verfügung, darunter deutsch.

Mit dem OCAI führen mehrere Mitglieder einer Organisation die Analyse der sechs Aspekte durch. Dabei entscheiden Sie, wie viele und welche Personen Sie von Beginn an in den Prozess einbinden möchten. OCAI online liefert eine Auswertung, die Ihnen zeigt, wo Sie als Organisation stehen und wohin Sie möchten. Dabei können auch unterschiedliche Wahrnehmungen verschiedener Personen oder Personengruppen ans Licht kommen.

In gemeinsamen Workshops können Sie damit dann einen Konsens erarbeiten und exakt herausarbeiten, welche Dinge Sie behalten und vielleicht sogar verstärken möchten, oder von welchen Dingen Sie weniger oder gar nichts mehr in Ihrer Organisation leben möchten. Anhand des CVF finden Sie schnell eine Sprache für den Wandel, den Sie jetzt benötigen.

Sie legen detailliert fest: Was konkret bedeutet der gewünschte Wandel und was konkret bedeutet er nicht. Wenn Sie zum Beispiel zu dem Schluss kommen sollten, dass Sie Ihre Clan Kultur stärken möchten, könnten Sie sich entscheiden, ein fürsorglicheres Klima zu schaffen ohne dabei gewisse Standards oder eine gewisse Strenge zu vernachlässigen.

In diese Prozesse können Sie von Beginn an Ihre Mitarbeitenden einbinden. Das gilt sogar für die gesamte Organisation, wenn Sie das möchten. Das mag am Anfang aufwändiger sein, doch auf lange Sicht rechnet sich das meist: Je mehr Mitarbeitende von Beginn an involviert sind, um so geringer sind die Widerstände und um so höher ist später das Commitment. Und je mehr Mitarbeitende mitdenken und mitgestalten, um so klarer und detaillierter werden die neuen Wege beschrieben und ausgearbeitet. Dabei kann eine kollektive Intelligenz entstehen, die außergewöhnliche Resultate produziert und die Menschen mitnimmt und begeistert.

Neun Schritte für den Wandel

Cameron und Quinn beschreiben einen Prozess in neun Schritten auf dem Weg zu einer neuen oder an neue Verhältnisse angepassten Kultur.

1. Stellen Sie zunächst einen Konsens her über die Beschreibung der aktuellen Kultur.
2. Stellen Sie dann einen Konsens her über die gewünschte künftige Kultur.
3. Arbeiten Sie möglichst genau aus, was dieser Wandel bedeutet, aber auch, was er eben nicht bedeutet.
4. Identifizieren Sie Geschichten in Ihrem Unternehmen, die die gewünschte künftige Kultur beschreiben.
5. Erarbeiten Sie einen Aktionsplan.
6. Identifizieren Sie kleine Gewinne, die Ihre Organisation rasch erzielen kann.
7. Arbeiten Sie aus, was das für den Führungsstil und das Leadership bedeutet.
8. Legen Sie messbare Indikatoren und Meilensteine für den Fortschritt des Prozesses und entsprechende Verantwortlichkeiten fest.
9. Arbeiten Sie eine Kommunikationsstrategie aus.

Ein solcher Prozess sollte auch jeden Change-Prozess begleiten, denn Change-Projekte scheitern noch viel zu oft daran, dass sie die Kultur vernachlässigen, sprich: Sie scheitern daran, dass sie „die Menschen nicht mitnehmen.“

Aufgrund unserer langjährigen Erfahrungen in Coaching, Training, Kommunikation und Moderation können wir Sie und Ihre Organisation gut durch diese Prozesse führen oder begleiten. Das gilt auch in dem Fall, dass Sie schon von Beginn an viele oder gar alle Ihre Mitarbeitenden einbinden möchten. Wir lieben es, die kollektive Intelligenz einer Organisation zu entfachen. Für viele Führungskräfte ist es erstaunlich, zu erleben, was in Ihren Mitarbeitenden alles steckt. Das kommt aber nur zur Geltung, wenn man sichere Räume für sie schafft – und genau das ist eine unserer größten Stärken.

Wir begleiten Sie aber natürlich auch sehr gerne in dem Fall, dass Sie diese Prozesse erst einmal in einem kleineren Kreis, etwa auf Management-Ebene durchlaufen möchten. Was können Führungskräfte tun bzw. ändern, um den gewünschten Wandel durch ihr Verhalten zu unterstützen? Dafür geben wir Ihnen eine große Auswahl an Anregungen. Oft reicht es schon, wenn Sie mit ein oder zwei neuen Verhaltensweisen beginnen. Welche das in Ihrem Fall sind und wie Sie diese genau auf Ihre Situation anpassen können, kann Gegenstand eines Coachings sein, das wir mit Ihnen durchführen. Dabei legen wir zum Beispiel Wert auf kleine Gewinne, die Sie und Ihre Organisation rasch erzielen können.

Zu guter Letzt

Da meine beiden Texte über die Arbeit von Kim Cameron und Robert Quinn bereits eine ordentliche Länge haben, werde ich mein Heldenepos an dieser Stelle unterbrechen. Unter unserer Rubrik „Wissenswertes“ werden Sie demnächst weitere Berichte über die Arbeit der beiden Forscher aus Michigan lesen. Denn als wäre das CVF und OCAI nicht wahrhaft genug für einen Orden, haben sie noch folgende Konzepte entwickelt, die Ihren Erfolg als Führungskraft enorm beflügeln können:

  • Positive Leadership (Kim Cameron): Welches Führungsverhalten sorgt dafür, dass ein Team oder eine Organisation Herausragendes leisten kann und auch möchte (Cameron 2012) und (Cameron 2013).
  • Positively Energizing Leadership (Kim Cameron): In seinem jüngsten Werk zeigt Kim Cameron (Cameron 2021) ein enormes Potenzial auf, das in den allermeisten Unternehmen noch komplett brach liegt: Die Energie positiver Arbeitsbeziehungen. Was genau setzt diese Energie frei? Kim Cameron liefert eine großartige, umfassende und praxistaugliche Anleitung für die Gewinnung einer Energie, die frei verfügbar ist. Diese Energie steigert die Performance von Organizationen enorm. Sie macht dabei fast allen Freude und sie muss nicht erneuert werden, weil sie sich gar nicht verbraucht.
  • The Positive Organisation (Robert Quinn): Robert Quinn beschreibt hier in sechs konkreten Strategien und mit 100 unkonventionellen Anregungen für die Praxis, wie es Führungskräften und Organisationen gelingen kann, ein Umfeld zu schaffen, in dem beide Seiten aufblühen: Die Organisation und die Menschen in ihr.
  • Competing Values Leadership (Cameron, Quinn et al. 2022): Wie können Führungskräfte am besten dazu beitragen, Werte und Mehrwert zu erzeugen? Diese Frage beantworten Cameron, Quinn und zwei Kollegen basierend auf dem CVF in einem ganz neuen Buch aus dem Jahr 2022.

Warum ist Kultur wichtig?

In ihrem wundervollen Buch „Developing a Positive Culture where People and Performance Thrive“ nennt Marcella Bremer einige Studien über den Einfluss von Kultur. So haben John Kotter und James Heskett (1992) den ökonomischen Erfolg von 200 Firmen, darunter Hewlett-Packard, Xerox oder Nissan, über 11 Jahre studiert. Sie haben unter vielem anderen gezeigt, dass Firmen mit einer starken Kultur ihre Einnahmen im Schnitt um 682 Prozent in 11 Jahren gesteigert haben. Firmen mit einer schwachen Kultur sind dagegen nur um 166 Prozent gewachsen.

Das Netto-Einkommen von Firmen mit starker Kultur ist dabei im Schnitt um 756 Prozent gewachsen gegenüber 1 Prozent bei Firmen mit schwacher Kultur. Der Aktienpreis wuchs im Schnitt um 901 Prozent im Vergleich zu 74 Prozent. Laut Heskett leiste die Kultur einen Beitrag von 20 bis 30 Prozent am Unterschied in der Performance.

Einige weitere Studien von Zu, Robbins und Fredenall, 2010, Yilmaz und Ergun, 2008, und Hartnell, 2010, haben laut Marcella Bremer gezeigt, dass eine Kultur, die auf Menschen, Lernen und Entwicklung achtet, einen direkten Einfluss auf die Qualität von Produkten und Service haben. Zudem gebe es eine positive Beziehung zwischen einer am Menschen orientierten Kultur und der Kundenzufriedenheit (Bremer 2020).

Auch auf das Personalwesen hat die Kultur einen großen Einfluss. So recherchieren 2016 gemäß einer Studie 41 Prozent der Menschen auf Jobsuche nach Informationen über die Kultur eines Unternehmens. Über Social Media werden solche Informationen auch zunehmend geteilt: Wie ist es wirklich, dort zu arbeiten? (siehe Bremer 2020)

Gemäß einer Studie von 2015 von Josh Bersin sagen 95 Prozent der Beschäftigten, dass ihnen die Kultur wichtiger ist als die Vergütung. Und viele Millennials arbeiten weniger nur für das Gehalt. Sie möchten viel mehr auch einen Beitrag leisten (siehe Bremer 2020).

Sie haben sicher schon von dem berühmten Gallup-Engagement-Index gehört. Er hat 2022 gezeigt: 69 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben eine geringe Bindung an ihren Arbeitgeber und machen nur Dienst nach Vorschrift. Weitere 18 Prozent haben keine emotionale Bindung und bereits innerlich gekündigt. In Deutschland sind also nur noch 13 Prozent der Beschäftigten mit Herz und Verstand bei der Arbeit.

Diese traurigen Zahlen betreffen alleine in Deutschland fast 33 Millionen Menschen! Welch enorme Verschwendung von Lebensenergie, Kreativität, Gesundheit und Glück findet hier statt? Hinzu kommt ein wirtschaftlicher Schaden, den Gallup für die deutsche Wirtschaft auf 118 bis 151 Milliarden Euro pro Jahr schätzt.

Dieses traurige Phänomen ist auch in vielen anderen Ländern der Welt seit vielen Jahren messbar. Laut Marcella Bremer kam in diesem Zusammenhang eine Studie von Deloitte 2015 zu dem Ergebnis, dass Mitarbeiter-Engagement und Kultur derzeit als die Nummer 1 Herausforderung weltweit gesehen wird. 37 Prozent der Befragten nannten das Thema „wichtig“. Weitere 50 Prozent stuften es sogar als „sehr wichtig“ ein (siehe Bremer 2020).

Last but not least: Unsere Welt befindet sich in einem dramatischen Wandel, in einer regelrechten Transformation. Immer mehr Unternehmen werden mit Veränderungen konfrontiert. Change-Prozesse gehören schon fast zur Tagesordnung. Doch die meisten Change-Prozesse scheitern. Je nach Gebiet und Untersuchung gilt das für 50 bis 70 Prozent der Veränderungsprozesse. Cameron und Quinn geben an, dass die in Studien häufigste genannte Ursache für das Scheitern von Change Prozessen die Missachtung der Kultur war (Cameron, Quinn 2011).

Quellennachweise

Bremer Marcella (2020), Developing a Positive Culture where People and Performance Thrive, Zwolle: Kikker Groep.

Cameron Kim and Quinn Robert (2011), Diagnosing and Changing Organizational Culture, San Francisco: Jossey-Bass.

Cameron Kim (2012), Positive Leadership: Strategies for Extraordinary Performance, Oakland: Berrett-Koehler.

Cameron Kim (2013), Practicing Positive Leadership. Oakland: Berrett-Koehler.

Cameron Kim (2021), Positively Energizing Leadership: Virtuous Actions and Relationships That Create High Performance, Oakland: Berrett-Koehler.

Cameron Kim, Quinn Robert, DeGraff, Jeff, Thakor, Anjan (2022), Competing Values Leadership, Massachusetts: Edward Elgar.

Lawrence Paul und Nohria Nitin (2002), Driven: Was Menschen und Organisationen antreibt, San Franzisco: Jossey Bass/Wiley.

Quinn Robert (2015), The Positive Organisation: Breaking Free from Conventional Cultures, Constraints, and Beliefs, Oakland: Berrett-Koehler.

ten Have, S., W. ten Have, A. F. Stevens, M. Vander Elst and F. Pol-Coyne (2003), Key Management Models: The Management Tools and Practices that will Improve Your Business, London: Pentice Hall.

Veröffentlicht von
Andreas Lohr
Geschäftsführender Gesellschafter

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