Positive Psychologie erforscht das erfüllte Leben

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Andreas Lohr

Gibt es da nicht noch was anderes?

Jetzt mal Hand aufs Herz: Wie oft in Ihrem Alltag kommt es vor, dass Sie mal wieder ein Problem lösen und sich dann schon freuen, wenn der Laden nur wieder einigermaßen läuft? Klar, das gehört zum Leben. Doch wenn wir nur noch Probleme lösen und Aufgaben abarbeiten, entsteht auch bald das ungute Gefühl, „nur noch zu funktionieren“. Gibt es da nicht noch etwas anderes? Natürlich gibt es das. Und das Spannende daran ist: Die Wissenschaft geht diesem anderen schon auf den Grund. Die Positive Psychologie erforscht seit gut 25 Jahren, welche Zutaten es für ein erfülltes Leben braucht. Leider sind ihre Erkenntnisse dem breiten Publikum noch recht unbekannt.

Es gibt tatsächlich Menschen, die blühen auf, obwohl sie an einer Krankheit leiden. Andere Menschen wiederum gelten als medizinisch gesund und doch verkümmern sie in ihrem Dasein. Vielleicht fallen Ihnen ja Beispiele dafür ein? Ideal wäre natürlich, wenn wir beides hätten: Gesundheit und ein erfülltes Leben. „Gesundheit ist das höchste Gut“, heißt es, oder: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Ich stimme zu! Gesundheit ist zurecht eines der Top-Themen in Medien, Forschung und Literatur. Doch wenn sie auch „nicht alles“ ist, was gibt es da noch?

Mit Risiken und Nebenwirkungen

Was weckt unsere Begeisterung und unser Engagement? Was fördert unser Wachstum? Was gibt uns Freude und Sinn? Was braucht es für ein erfülltes Leben? Immer mehr Forscher beschäftigen sich seit etwa 25 Jahren mit Fragen wie diesen. Derjenige Zweig der Psychologie, der sich diesen Themen widmet heißt „Positive Psychologie“ (PP). Hier steht also nicht die Gesundheit im Zentrum, doch erstaunlicherweise hat sich gezeigt: Wenn Menschen mehr Erfüllung erleben, fördert das oft auch ihre Gesundheit. Gesundheit ist quasi eine mögliche Nebenwirkung der Positiven Psychologie.

Übungen, Interventionen und Mindsets der Positiven Psychologie können zum Beispiel das Immunsystem stärken und Stress abbauen. Nach Viktor Frankl, dem Begründer der dritten Wiener Schule der Psychotherapie, ist eine unerlässliche Voraussetzung für Heilung sogar, einen Grund zum Leben zu finden, ein Warum, einen Sinn.

In der Rubrik „Positive Psychologie“ im Menüpunkt „Wissenswertes“ werden wir regelmäßig Themen einstellen über die Erkenntnisse dieser Wissenschaft vom guten und erfüllten Leben. Dieser Beitrag möchte Ihnen eine ersten Eindruck vermitteln. Doch bevor wir mit ersten Themen starten, möchten wir aus ethischen Gründen auch auf die Risiken und Nebenwirkungen der PP hinweisen. Bitte beachten Sie:

Die Positive Psychologie könnte Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden steigern. Womöglich werden Sie auch Stress ab- und Resilienz aufbauen. Wundern Sie sich bitte auch nicht, wenn Sie eines Tages feststellen sollten, dass Sie wacher, klüger, aufmerksamer, kreativer, offener, erfolgreicher, ruhiger, flexibler, sicherer, lebendiger, belastbarer, ausgeglichener oder stärker geworden sind, oder wenn sich Ihre sozialen Beziehungen verbessert haben oder wenn Sie und Ihr Umfeld, Ihre Organisation oder Ihre Firma auf einmal aufblühen. Bitte erschrecken Sie auch nicht, falls Sie plötzlich ein Gefühl von Sinn in sich entdecken oder wenn Sie gar eines Morgens schon beim Aufwachen fröhlich sein sollten.

Die längste Studie der Welt über Glück und gutes Leben.

In Harvard wundern sie sich selbst, wie sie es geschafft haben, dass diese Studie immer noch läuft. 1938 haben Wissenschaftler dort begonnen, die Entwicklung von Erwachsenen zu studieren. Irgendwie wurde dieses Projekt immer weiter fort geführt, was zur Folge hat, dass es jetzt eine Studie gibt, die Menschen über ihr ganzes Leben lang begleitet und regelmäßig untersucht hat. Zehntausende Seiten an Daten wurden im Rahmen der „Grant-Study“ schon erhoben.

„What makes a good life? Lessons from the longest study on happiness“ (deutsch: Was macht ein gutes Leben aus? Lektionen aus der längsten Studie über Glück), heißt ein TED-Talk von Robert Waldinger, dem vierten und aktuellen Direktor dieser Studie. In weniger als 13 Minuten fast er dort die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Das ist sehr sehenswert!

„Seit 75 Jahren verfolgen wir das Leben von 724 Männern“, berichtet Waldinger im Jahr 2015. Was haben die Harvard-Forscher daraus gelernt? „Nun, bei den Lektionen geht es nicht um Reichtum oder Ruhm oder darum, immer härter zu arbeiten. Die klarste Botschaft, die wir aus dieser 75jährigen Studie erhalten ist folgende: Gute Beziehungen halten uns glücklicher und gesünder. Punkt.“

Dabei sei nicht die Zahl der Beziehungen entscheidend, sondern ihre Qualität. Diese guten Beziehungen müssten auch nicht immer glatt verlaufen. Das sei auch eine uralte Weisheit. Nur „warum ist das so schwer zu verstehen und so leicht zu ignorieren?“ fährt Waldinger fort: „Beziehungen sind chaotisch und kompliziert. Die Beziehungen zu Freuden und zur Familie zu pflegen, ist nicht sexy und glamourös. Und das lebenslang. Es hört nie auf.“

„Die glücklichsten Rentner unserer 75-jährigen Studie waren diejenigen, die Arbeitskollegen aktiv durch neue Freunde ersetzt haben.“ Und genau wie die „Millenials“ heute, „glaubten viele unserer Männer als sie junge Erwachsene waren tatsächlich, dass sie Ruhm, Reichtum und hervorragende Leistungen anstreben müssten, um ein gutes Leben zu haben.“

Welche Schlüsse konnten die Forscher über Gesundheit oder ein langes Leben ziehen? Bei allen Personen der Studie mit mehr als 80 Jahren wurden die Daten analysiert, die erhoben wurden, als diese Menschen 50 Jahre alt waren. Waldinger: „Die Menschen, die in ihren Beziehungen mit 50 am zufriedensten waren, waren auch die gesündesten mit 80.“ Mit Cholesterinwerten hätte das wenig zu tun. Dieses Ergebnis gelte auch für die Gesundheit des Gehirns, etwa die Erinnerungsfähigkeit im Alter. Weitere Ergebnisse der Grant-Study finden wir in Wikipedia. Danach hängt auch finanzieller Erfolg von der Wärme der Beziehungen ab, und – ab einem bestimmten Niveau – nicht vom IQ.

Die Macht der guten Gefühle

Welchen Sinn haben eigentlich positive Emotionen? Das mag jetzt nach einer blöden Frage klingen, denn klarerweise ist es doch irgendwie schön, positive Gefühle zu haben, oder nicht? Schon, nur: Welchen Sinn hatten sie im Verlauf der Evolution? So erstaunlich das klingen mag: Die Wissenschaft hat sich diese Frage zum ersten Mal erst Ende der 1990er Jahre gestellt, also erst vor etwa 25 Jahren. Vorher waren positive Emotionen kaum Gegenstand von Forschung.

George Vaillant war der dritte Direktor der Grant-Study, also der Vorgänger von Robert Waldinger. Er hat das Projekt 35 Jahre lang in Harvard geleitet. Vaillant hat sich aber auch mit der Erforschung der positiven Emotionen beschäftigt. In seinem wunderbaren Buch „Spiritual Evolution“ (Vaillant 2008) über diese Forschung weist er auf einen erstaunlichen Sachverhalt hin. Als das führende Textbuch der amerikanischen Psychiatrie 2004 neu aufgelegt wurde, war das ein Werk von 500.000 Zeilen. Was schätzen Sie: Wie viele Zeilen davon wurden den positiven Emotionen gewidmet?

Es waren insgesamt nur sechs Zeilen! Fünf Zeilen über Hoffnung und eine über Freude. Das war’s.

Einen großen Verdienst um die Erforschung der positiven Emotionen hat sich Barbara Fredrickson an der University of North Carolina gemacht. Ihre Broaden & Build-Theorie gab zum ersten Mal eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Positiven Emotionen im Verlauf der Evolution. Diese Antwort hat zwei Teile:

Wir alle kennen den Tunnelblick, den wir im Momenten von negativen Emotionen wie Traurigkeit oder Angst bekommen. Negative Emotionen verengen unseren Horizont, und das ist auch gut so. Denn in Momenten der Gefahr, gilt es alle Kräfte zu bündeln, um die Gefahr zu überleben. Negative Gefühle sind deswegen zwar unangenehm, aber nicht grundsätzlich schlecht. Sie weisen auf Gefahren hin, fordern zum Handeln auf und bündeln die Kräfte dafür.

Wenn aber die Gefahr überstanden ist, sind es die positiven Emotionen, die unseren Blick und unseren Horizont wieder erweitern („Broaden“). „Positive Emotionen öffnen unsere Herzen und unseren Geist, so dass wir empfänglicher und kreativer werden“, lautet daher die erste Kernwahrheit nach Barbara Fredrickson (Fredrickson 2009).

Sind unser Herz und unser Geist wieder geöffnet, hat dies ein Verhalten zur Folge, mit dem wir Ressourcen aufbauen („Build“), die uns helfen, künftige Gefahren besser zu überstehen. „Eine positive Lebenseinstellung macht uns zu besseren Menschen. Indem wir unsere Herzen und unseren Geist öffnen, können wir neue Fähigkeiten, neue Bande, neues Wissen und neue Möglichkeiten unseres Sein entdecken, ausloten und aufbauen“, lautet die zweite Kernwahrheit nach Barbara Fredrickson.

Die Forschung über positive Emotionen hat mittlerweile eine Fülle an wertvollen Erkenntnissen hervorgebracht, die auch in unsere Arbeit als Dr. Lohr & Bertz Unternehmensberatung einfließen. Einige weiteren Infos werden wir in anderen Beiträgen dieser Rubrik „Wissenswertes“ einstellen, etwa über die Frage, wie Sie positive Emotionen tatsächlich trainieren können. Oder auch darüber, was positive Emotionen mit Resilienz zu tun haben, oder wann Positivität toxisch wird.

Das PERMA-Modell des Aufblühens

Bisher haben wir erfüllende Beziehungen und positive Emotionen thematisiert. Wir könnten den Reigen fortsetzen mit Erkenntnissen über Werte, Stärken, Gefühle, Charakter, Wohlbefinden, psychische Grundbedürfnisse, Vertrauen, Demut, Sicherheit, Virtuosität, Ziele, Motivation, Mindsets, Authentizität, Spitzenleistung, Resilienz, Kommunikation, Flow, Feedback, Tugenden, Selbstwert, Selbstwirksamkeit, Empathie, Mitgefühl und Selbstmitgefühl, Altruismus, positive Energienetzwerke, Meditation, Achtsamkeit, Glück, Erfüllung, Sinnempfinden oder Lebenssinn. All das umfasst der Begriff „Positive Psychologie (PP)“.

Einer der bedeutendsten Psychiater unserer Zeit, Martin Seligman, gilt als einer der Gründungsväter der PP. Er hat die Fülle ihrer Erkenntnisse nach fünf Bereichen sortiert, ausgedrückt in dem Akronym PERMA. Wir können sie auch als fünf Nährstoffe für ein erfülltes Leben bezeichnen:

P = Positive Emotionen
E = Engagement (sich einbringen können)
R = Relationships (stärkende Beziehungen)
M = Meaning (Sinnempfinden, Sinn)
A = Accomplishment (Ziele erreichen, Gelingen)

Sorgen etwa Führungskräfte für diese Nährstoffe in ihren Teams, dann sinkt die Burnout-Gefährdung von Mitarbeitenden bereits um mehr als die Hälfte! Das hat eine Studie von Markus Ebner an der Uni in Wien ergeben.

Auch Führungskräfte selbst profitieren, wenn Sie ein PERMA-Umfeld schaffen. So steigen ihre Resilienz und Kreativität während ihre Stressbelastung sinkt. Das heißt: Sie gehen mit stressigen Situationen lockerer um, kommen nach beruflichen Rückschlägen schneller wieder auf die Beine und bewahren auch in schwierigen Situationen mehr Ruhe, weil sie auf ihre Fähigkeiten vertrauen und leichter unterschiedliche Lösungsvorschläge entwickeln, so wiederum Markus Ebner.

Die Positive Psychologie umfasst also großartige Forschung für ein lebenswertes Leben. Ich liebe sie. Aber dennoch gibt es ein Problem: Es ist das Wort „positiv“. Viele Menschen, die das „positiv“ lesen vor „Psychologie“ oder „Leadership“ oder „Culture“, denken leider gleich an „Esoterik“ oder „Wischi Waschi“ etc. Wir hoffen sehr, dass wir mit unserer Arbeit und auch mit unseren Beiträgen unter „Wissenswertes“ dazu beitragen können, diese Missverständnisse und Vorurteile abzubauen.

Quellenangaben

Fredrickson Barbara (2009), Die Macht der guten Gefühle: Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert, New York / Frankfurt: Campus Verlag

Vaillant George (2008), Spiritual Evolution, How We Are Wired for Faith, Hope, and Love, New York: Broadway Books

Veröffentlicht von
Andreas Lohr
Geschäftsführender Gesellschafter

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